Kino als Lyrik
Semih Kaplanoglus "Süt" kommt in die Kinos
Von Josef Schnelle
Der türkische Regisseur Semih Kaplanoglu revolutioniert mit seiner poetischen Bildsprache das türkische Autorenkino. Er braucht dazu keine 3D-Effekte, ein einfacher Schwenk, der dem Weg einer seiner Personen in die Weite der Graslandschaft folgt, reicht.
"Wir sehen die Welt nicht nur mit unseren Augen, sondern auch mit unseren Träumen."
Mit diesem Programm ist Semih Kaplanoglu dabei, das türkische Kino zu verändern. Mit drei Filmen, mit seiner Yusuf-Trilogie, hat der erfolgreiche Fernsehregisseur beherzt die Foren der Filmkunst betreten und wird mittlerweile wahlweise als legitimer Nachfolger des türkischen Meisterregisseur Yilmaz Günay oder als Wiedergänger des russischen Ausnahmeautors Andrej Tarkowski gehandelt.
Beide Spuren sind nicht falsch gelegt, aber vielleicht fehlt es auch nur an Begriffen, diese neue Stimme des türkischen Kinos zu beschreiben. Kaplanoglous Filme sind präzise orchestriert und besitzen eine ungewöhnliche Bildmächtigkeit. Gewissermaßen rückwärts erzählt seine Yussuf-Trilogie die Geschichte eines Schriftstellers, der gegen alle Widerstände einen Ort in der Welt finden muss.
In "Yumurta" - Ei - dem Film mit dem Kaplanoglu 2007 von der Quinzaine des Réalisateurs in Cannes entdeckt wurde - beschreibt er die Rückkehr eines erfolgreichen Autors aus der Großstadt in sein Dorf. Er muss seine Mutter begraben und dabei ein paar unbequeme Wahrheiten über sich entdecken.
In "Süt" - Milch- ist er noch ein junger Mann, der alleine mit seiner Mutter lebt und die Dichtkunst liebt. In "Bal" - Honig - geht der Regisseur noch weiter zurück und erzählt von einem kleinen Jungen im Hochwald, dem noch das Lesen lernen schwer fällt. Aber das dieser Kleine noch die Wonnen der Sprachkunst entdecken wird, daran besteht kein Zweifel.
Der Film "Bal" wird in ein paar Wochen auf der Berlinale uraufgeführt werden und vermutlich den filmkünstlerischen Rang Kaplanoglus endgültig bestätigen. Im Augenblick kommt aber erst einmal "Süt" - Milch - in unsere Kinos, die Geschichte eines jungen Mannes von etwa 20 Jahren. Yussuf soll nach dem Willen der Mutter den kleinen landwirtschaftlichen Minibetrieb mit zwei Kühen und deren Milchprodukten am Rande einer anatolischen Kleinstadt führen. Doch das kleine Geschäft mit Käse und Milch auf dem Markt wird bald bedroht durch die ersten Supermärkte im europäischen Stil, die alles billiger anbieten. Auch die durch die Umstände bislang enge Mutter-Sohn-Beziehung bekommt erste Risse.
Doch die Mutter loslassen will er keineswegs. Das stellt sich heraus, als sie sich in den Bahnhofsvorsteher verliebt. Nicht nur der Sohn muss erwachsen werden, auch die Mutter kann ein neues Leben und neue Freiheiten erobern. Kapanoglu erzählt seine Geschichte in großen Landschaftstableaus und Dialogen aus Blicken. Die Mutter erfährt von Yussufs heimlicher Liebe erst, als sie sein Gedicht in einer Zeitschrift entdeckt.
"Hast du eine Freundin?"
"Mama wie kommst du auf so was?"
"Magst du sie sehr?"
"Zenyo - Wer ist denn das?"
"Die Tochter von Melahat."
"Mama - sie ist noch ein Kind."
"Du hast über sie geschrieben. Du hast ihre Haare, Augen, Augenbrauen beschrieben."
"Ich hab gar nichts geschrieben."
"Und was ist das denn?"
"Mein Gedicht wurde veröffentlicht und du redest von Zenyo?"
Der Film wird im Original mit Untertiteln ins Kino kommen. Viel Dialog gibt es ohnehin nicht. Semih Kapanoglu ist ein Mann, der die Bilder liebt.
Zugleich schildert der Film auf subtile Art die Umgestaltung der traditionellen türkischen Gesellschaft durch die Einflüsse der Moderne. Industrie und moderne Lebenskultur brechen die enge Familienbanden auf. Dazu noch die Dichter-Flausen im Kopf und die ungewohnte Eifersucht auf die neuen Sehnsüchte der Mutter. Da hilft doch eigentlich nur noch das Weggehen.
Betörend ist an diesem Film vor allem, mit welcher Ruhe und Übersicht er filmischen Raum schafft. Er braucht dazu keine 3D-Effekte, ein einfacher Schwenk, der dem Weg einer seiner Personen in die Weite der Graslandschaft folgt, reicht.
Landschaften, die Seelenzustände beschreiben. Die Schönheit der schlichten Alltagshandlungen. Das beredte Schweigen der Gesten. Der Krieg der zärtlichen Blicke. Das alles ist spannend an diesem Film und man fragt sich bald, ob das Kino nicht die Lyrik der Neuzeit ist.
|