SÜT /BASINDAN
Das Schweigen Anatoliens Zusammen mit seiner Mutter Zehra lebt der 20-jährige Yusuf in einer anatolischen Kleinstadt. Ihren Lebensunterhalt bestreiten sie dürftig mit ihren drei Kühen, die Mutter verkauft Käse auf dem örtlichen Markt. Eines Tages will der Zufall, dass Zehras Motorradreifen platzt und sie dank der Panne den Stationsvorsteher kennenlernt und mit ihm die Liebe neu entdeckt. Während für Zehra der zweite Frühling anbricht, steht Sohn Yusuf vor der ersten schweren Entscheidung seines Lebens: Wie soll es für ihn weitergehen, welchen Beruf soll er ergreifen, wie soll seine Zukunft aussehen? Denn eigentlich hat der Junge nichts anderes im Kopf als zu dichten. Bedeutungsoffene Bilder Süt heißt Milch und ist für die zweiköpfige Familie das tägliche Überlebenselixier. Milch ist aber auch ein Zeichen für Reinheit und kann für Exorzismen verwendet werden: In der ersten Szene des Films wird eine Frau, festgebunden an ihren Füßen, mit dem Kopf über einen Topf mit siedender Milch gehängt. Langsam beginnt ein schlangenähnliches Wesen aus dem Rachen der Frau herauszukriechen, das von den Umstehenden schließlich ganz herausgezogen wird. Die Szene ist exemplarisch für den Film. Sie verläuft stumm und wird, wie das weitere Geschehen, in nur wenigen Einstellungen gezeigt. Auch liefert Regisseur Kaplanoğlu keine Anhaltspunkte, wie das Gesehene zu interpretieren wäre. Steht die Schlange letztlich für die Sünde? Bedeutet Milch wirklich Unschuld und Reinheit? Anatolische Lebenskraft Alle Figuren des Films stehen vor existenziellen Entscheidungen und sind zugleich eingebunden in die beengenden sozialen Strukturen ihrer Umwelt. Genau aus diesem Widerstand entwickeln sie allesamt einen kraftvollen Lebenswillen gegen das vermeintlich Unumstößliche. Kaplanoğlu inszeniert diesen Kampf, den Prozess der Veränderung, jedoch gänzlich unspektakulär: Es gibt nur spärliche Dialoge, keine Musik und die Kamera verharrt in Starre. "Süt" ist eine kinematografische Herausforderung. Wer sich ihrer annimmt, wird auf jeden Fall gestärkt aus dem Kino kommen. Und auch seinen eigenen persönlichen Kampf annehmen.
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