02/01/2010
Michael Meyns / Programmkino.de
SUET / FILMKRITIK:
Eine kleine Stadt im Hinterland Izmirs, karge Landschaften, geprägt von Olivenhainen, Schafzucht, Bauruinen, vereinzelter Schwerindustrie. Hier lebt Yusuf mit seiner verwitweten Mutter Zehra. Der Verkauf von Milch und selbst hergestelltem Käse sichert der kleinen Familie ein mehr als bescheidenes Einkommen, das hart erwirtschaftet werden muss. Viel lieber beschäftigt sich Yusuf mit Büchern, mit den eigenen Versuchen, Gedichte zu schreiben, etwas, das so gar nicht in seine zweckgeprägte Umwelt passt. So wie auch Yusuf ein Außenseiter ist, praktisch keine sozialen Kontakte hat, sich jenseits der traditionellen Strukturen bewegt, nicht im Kaffeehaus seine Zeit verbringt, sondern sinnierend sein eigenes Dasein reflektiert.
Ein Film des Innehaltens also, ein Film, der vor allem mit Atmosphäre arbeitet, der seinen Hauch Handlung oft in kryptischen Andeutungen verbirgt, so als wollte er jedes Anzeichen einer gewöhnlichen Geschichte vermeiden. Sehr kunstbeflissen wirkt es, was Regisseur Semih Kaplanoguh hier, in seinem vierten Spielfilm und dem zweiten Teil einer angekündigten Trilogie, zeigt; über weite Strecken aber mit Erfolg. Mit wenigen Worten gelingt es ihm, eine Welt zu entwerfen, die noch tief in ihrer Tradition verhaftet ist, in der Schlangen von grauhaarigen Männern mit magischen Kräften vertrieben werden, in der Ehen durch Lesen im Kaffeesatz geschlossen werden. Für jemanden wie Yusuf, der auch in der viel freieren westlichen Welt ein Außenseiter wäre, ist es hier umso schwerer, seine Träume zu verwirklichen, zu sich selbst zu finden. Ein veröffentlichtes Gedicht in einer überregionalen Zeitschrift verheißt da ebenso einen Ausweg wie der Musterungsbescheid, der Yusuf in die Hafenmetropole Izmir führt. Doch ehe eine angedeutete Romanze ihren Weg nimmt, wird Yusuf ausgemustert und kehrt in seine vertraute Umgebung zurück. Und auch dort findet er sich nicht mehr zurecht, wird sein vertrautes Leben durch die neue Beziehung seiner Mutter erschüttert.
Und hier, im letzten Viertel des Films, zeigt sich dann auch, das Semih Kaplanoglu noch nicht ganz da ist, wo er offensichtlich hin will. Auf einmal entwickelt sich eine veritable Handlung, werden mehr Ereignisse in 20 Minuten verpackt als in die 80 vorhergehenden, gelingt es nicht ganz, ein prägnantes Ende zu finden. Worin die große Schwierigkeit dieser Art von Filmen liegt, die kaum Handlung haben, die mehr das Innenleben einer Figur beschreiben, als eine äußere Geschichte erzählen. Doch trotz dieser Schwäche bleibt „Süt“ ein bemerkenswerter Film, der Semih Kaplanoglu endgültig als einen viel versprechenden Regisseur des europäischen Autorenkinos etabliert.